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    „Erschreckend, wie die Justiz mit Gewalt gegen die Polizei umgeht“

    Mit Entsetzen hat die Deutsche Polizeigewerkschaft auf die jüngste Entwicklung im Prozess um den Neuwiedenthaler Gewaltexzess gegen Polizisten reagiert. „Es ist erschreckend, wie die Justiz mit Gewalt gegen Polizisten umgeht“, so Klaus Vöge, stellvertretender Landesvorsitzender (Hamburg) der Deutschen Polizeigewerkschaft. Denn fast genau ein Jahr, nachdem junge Menschen in Neuwiedenthal auf zwei Polizisten losgegangen sein sollen, hat das Landgericht Hamburg nun den Haftbefehl gegen den Hauptangeklagten Amor S. (32) aufgehoben.

     Wie das Gericht auf HAN-Anfrage mitteilte, wurde der Haftbefehl aufgehoben, da nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme kein dringender Tatverdacht mehr bestehe. Nach der Beweisaufnahme sei zweifelhaft, dass Amor S. dem Polizisten die Verletzungen beigebracht habe. Die Kammer habe Anfang Februar den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt, eine sogenannte Haftverschonung, da keine Fluchtgefahr gegeben sei. Der Angeklagte sei seitdem auch zu allen Verhandlungsterminen erschienen. Eine Bedingung der Haftverschonung sei gewesen, dass sich der Angeklagte wöchentlich auf dem Polizeirevier melde.

    Polizisten müssten sich so schon häufig bespucken und bepöbeln lassen, aber wenn man auf sie einprügele, während sie auf der Straße lägen, sei das kein Kavaliersdelikt, sagte Vöge. In Mönchengladbach wurde gerade ein Jugendlicher in einem ähnlich gelagerten Fall zu mehr als sieben Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt. Im Neuwiedenthaler Fall habe die Anklage dagegen nur auf gemeinschaftlich gefährliche Körperverletzung gelautet. Wenigstens sei überhaupt Anklage erhoben worden.

     Es wäre aber gut, wenn der Täter jetzt auch verurteilt würde. „Denn hier ist eine Grenze überschritten worden.“ Das wäre auch mal ein Signal an andere mögliche Täter, aber so gäbe es keine Form von Abschreckung. Die Täter müssten wissen, für so etwas gebe es eine angemessene, harte Strafe. „Aber das passiert leider nicht. Wenn Tritte, aber auch Stöcke oder Eisenstangen eingesetzt werden, hört der Spaß auf.“

    Auch sei es wichtig, die Strafen für das Angreifen und Verletzen von Polizisten zu verschärfen, wenigstens aber das Strafmaß voll auszuschöpfen. Denn wenn so etwas wie in Neuwiedenthal dabei herauskomme, seien Polizisten offensichtlich justiziell ungeschützt.

     Wie berichtet, waren am 26. Juni 2010 zwei Polizisten wegen einer angeblichen Schlägerei alarmiert worden. Die Beamten fanden nichts, bemerkten aber einen 27-Jährigen, der den Männern sein entblößtes Geschlechtsteil zeigte. Als die Beamten die Personalien des jungen Mannes feststellen wollten, wehrte er sich. Ein Polizist setzt den Schlagstock ein – „danach eskaliert die Situation total“, berichtet der Polizist. Rund 30 Umstehende fingen an, Steine und Flaschen auf die Beamten zu werfen, die forderten Unterstützung an. Mehr als zwei Dutzend Streifenwagen waren nötig, um die Menge in den Griff zu bekommen. „Es war eine lebensbedrohliche Situation“, sagt der Angegriffene heute. Am Ende waren fünf Polizisten teils schwer verletzt, 17 mutmaßliche Randalierer festgenommen. Etliche Videos von dem Vorfall kursieren seitdem im Internet.  Der Hauptangeklagte war Amor S., er und ein damals 24-Jähriger sollen auf zwei Polizisten losgegangen sein, als diese den Bruder des 32-Jährigen festnehmen wollten.

    Auf einem der Handy-Videos, die in ein Internetforum hochgeladen worden waren und von der Kammer in Augenschein genommen wurden, ist ein Ausschnitt des Vorfalls zu sehen. Dabei stehen zwei Polizisten neben einem Streifenwagen, der 27-Jährige liegt am Boden, schreit: „Ich hab nichts gemacht!“ Als er sich wehrt, setzt der Polizist den Schlagstock ein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Körperverletzung im Amt. Der Polizist – ein Zivilfahnder – ist schließlich der einzige Belastungszeuge gegen Amor S. Denn während des Gewaltexzesses waren zwar sechs Polizisten vor Ort, aber einer war damit beschäftigt die Meute von rund 20 Leuten in Schach zu halten, einer war durch einen Schlag zu Boden gegangen und zwei hatten einen der Jugendlichen zu Boden gedrückt.

     Amor S. ist für die Polizei kein Unbekannter, er ist achtmal wegen Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorbestraft. Außerdem soll er unter anderem durch sogenannte Abziehdelikte den damals 17-Jährigen Neuwiedenthaler Mirco S. in den Selbstmord getrieben haben.