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    Der Preis des Protests

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    am Sonntag

    Zahlreiche Demonstrationen linker Gruppen in der Innenstadt setzen nicht nur die Polizei unter Druck, sondern gefährden auch die Umsätze des Einzelhandels

    Der Sprecher der afrikanischen Flüchtlinge brachte seine Haltung zu den vielen Demonstrationen, die seit Wochen zur Unterstützung der sogenannten Lampedusa-Gruppe durch die Stadt ziehen, auf eine einfache Formel: „Das ist nicht unser Problem.“ Für die Polizeiführung und auch die Geschäftsleute in der Innenstadt stellt sich die Lage allerdings etwas komplizierter dar: Hier ist das Problem riesengroß – für die einen wegen der großen personellen Belastung, für die anderen wegen der rückläufigen Umsätze. Und für die sieben Wochen bis Weihnachten sind eine Vielzahl ähnlicher Aktionen durch die linken Gruppen angekündigt worden, insbesondere an den Adventswochenenden. Hinzu kommen voraussichtlich zahlreiche weitere unangemeldete Aufzüge.

    Schon jetzt sind die Auswirkungen deutlich zu spüren. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der zum Feindbild auserkoren wurde, erhält mittlerweile den gleichen Personenschutz wie die Bundeskanzlerin. Und auf den Straßen sind täglich 19 Peterwagen weniger im Einsatz, weil die Beamten anderswo und zu anderen Zeiten benötigt werden.

    Für den 30. November sowie am 7., 14. und 21. Dezember sind in der Hamburger Innenstadt Demonstrationen im Zusammenhang mit der sogenannten Lampedusa-Gruppe angemeldet worden. Anmelder ist in allen Fällen ein Rechtsanwalt, der der „Karawane“ angehört, einer Organisation aus der der linken Szene, die die afrikanischen Flüchtlinge mit ihren umstrittenen Mitteln unterstützen möchte. Bislang geht der Anmelder von 500 Teilnehmern bei jeder der vier angemeldeten Demonstrationen aus. Eine Einschätzung der Polizei über die tatsächlich zu erwartende Zahl der Teilnehmer, ihre Zusammensetzung und eine Teilnahme von gewaltbereiten Gruppen, liegt bislang nicht vor. „Es wäre nicht seriös, zu diesem Zeitpunkt eine Prognose abzugeben“, sagt ein Polizist. „Man muss sehen, wie sich die Situation weiter entwickelt.“ Immerhin hat sich der Anmelder bezüglich der „Demonstrationsstrecke“ kooperativ gezeigt. Die vier Demonstrationen werden nach jetzigem Stand jeweils um 13 Uhr in St. Georg starten und von dort über den Glockengießerwall zum Ballindamm, dann weiter zum Jungfernstieg und über die Lombardsbrücke zurück nach St. Georg führen. Die ursprünglich geplante Route durch die Mönckebergstraße ist vom Tisch. Das ist ein Ergebnis der noch laufenden Kooperationsgespräche.

    Andere Gruppen sind da kompromissloser. Vor allem in der linksautonomen und kommunistischen Szene finden sich nach Erkenntnissen der Polizei Vereinigungen, die gewaltbereit sind und die Flüchtlingsdiskussion als willkommenen Anlass sehen, ein breiteres Spektrum mobilisieren zu können. Dass das nicht ganz wirkungslos geblieben ist, zeigt sich: Bereits seit vergangenen Montag sind tagsüber die sogenannte Landesreserve A und Landesreserve C ausgesetzt. Landesreserve, das sind Einheiten der Bereitschaftspolizei, die auf Peterwagen fahren und die im gesamten Stadtgebiet besonders belasteten Wachen verstärken. Statt Streife ist jetzt Bereitschaft angeordnet. Aufgerüstet für Demonstrationseinsätze sitzen die Beamten in Alsterdorf, um im Fall von Spontanaktionen der linken Szene schnell eingreifen zu können. Nachts haben die Beamten der Bereitschaftspolizei ihre Schutzausrüstung für Demo-Einsätze im Fahrzeug, um sofort aufrüsten zu können.

    Und das mit gutem Grund: „Wir haben es bei einem Teil der Unterstützer der sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge mit einer hochgradig radikalen und gewaltbereiten Klientel zu tun, der es weniger um die Flüchtlinge, als mehr um einen willkommenen Anlass geht, den Staat und seine Vertreter anzugreifen“, meint Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Das ist auch der Grund, warum die Polizei nicht nur bei dem Schutz vom Bürgermeister oder dem Innensenator Michael Neumann, der ebenfalls verstärkt bewacht wird, mit hohem Kräfteansatz herangehen muss. Auch die angekündigten Demonstrationen werden der Polizei viel Personal abfordern. Gerade an den Sonnabenden vor dem Weihnachtsfest wird die Polizei mit einem großen Kräfteaufgebot im Einsatz sein, um in der Innenstadt umfangreich Raumschutz zu gewährleisten. Dass es dabei zu Einsätzen der Alarmhundertschaften und damit zu Auswirkungen auf den Betrieb an den Polizeiwachen kommen wird, gilt als sicher.

    Für Gewerkschafter Lenders rächt sich dennoch jetzt der laxe Umgang mit der Nachbesetzung von Angestelltenstellen der Polizei im Bereich des Objektschutzes, die in der Direktion Einsatz 14 zusammengefasst sind. „Genau diese Angestellten wären, wie beispielsweise vor dem Generalkonsulat der USA, auch für Schutzmaßnahmen vor der Wohnung des Bürgermeisters zuständig. Aber 37 Stellen sind dort vakant“, sagt der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). „Dazu kommt ein außergewöhnlich hoher Krankenstand.“ So müssen allein die Polizeikommissariate, die sich die Bewachung der Bürgermeisterwohnung im Vier-Schichten-Dienst mit der Bereitschaftspolizei teilen, rund 50 Beamte stellen.

    Polizeisprecher Mirko Streiber hält die Situation für nicht „alltäglich“, aber letztlich beherrschbar. Auf Zivileinsätze durch die Bereitschaftspolizei werde aktuell allerdings verzichtet – auch weil ein Umrüsten auf einen Demonstrationseinsatz zu umständlich wäre. Der Bedarf an Polizeikräften aus anderen Bundesländern hält sich laut Streiber ebenfalls noch in Grenzen. Bislang habe man drei Mal auswärtige Einheiten der Bereitschaftspolizei im Zusammenhang mit Demonstrationen um die sogenannte Lampedusa-Gruppe nach Hamburg geholt. Am 15. Oktober waren drei Hundertschaften aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen, sowie eine kleine Einheit Bundespolizei in Hamburg eingesetzt. Am 17. Oktober kam man mit einer auswärtigen Hundertschaft, am 26. Oktober mit einem auswärtigen Zug und einigen Spezialfahrzeugen aus.

    In der Hamburger Kaufmannschaft sieht man die Entwicklung allerdings mit großer Sorge. Citymanagerin Brigitte Engler hat in den vergangenen Wochen die Klagen vieler Geschäftsleute gehört. Sie verweist auf die großen Investitionen, die aus privater und öffentlicher Hand in den vergangenen Jahren in die Innenstadt-Quartiere geflossen sind, um die City attraktiv zu halten. „Stabile Umsätze im innerstädtischen Einzelhandel sind eine Voraussetzung für künftige Investitionen. Der Adventsmonat ist der umsatzstärkste Monat des Jahres. Das Geschäft in diesem Monat entscheidet über den wirtschaftlichen Erfolg des gesamten Kalenderjahres“, macht Engler die Bedeutung der kommenden Wochen deutlich.

    Demonstrationen würden als Grundrecht der Gesellschaft selbstverständlich akzeptiert, jedoch: „Allein im vergangenen Jahr haben über 400 Demonstrationen stattgefunden, die sich mehr oder weniger ausgewirkt haben. Wir wünschen uns einen sensiblen Umgang bezüglich der Vergabe von Flächen für Demonstrationen, damit nicht einzelne Bereiche über die Maßen belastet werden“, ergänzt Engler. Die Freiheit des Einzelnen, sich sicher in der Innenstadt aufzuhalten, dürfe aus Sicht des innerstädtischen Einzelhandels nicht gefährdet sein.

    Wer seine Weihnachtseinkäufe – eventuell auch wegen der angespannten Sicherheitslage – aber noch vor den Adventswochenenden erledigen möchte, hat heute von 13 bis 18 Uhr am verkaufsoffenen Sonntag Gelegenheit. Demonstrationen waren für Sonnabend angekündigt, nicht aber für diesen Sonntag.